Stefan Wenzel

Stefan Wenzel

Fachanwalt für Arbeitsrecht

Mein verurteilter Arbeitskollege

Beitragsbild: ©adobeStock/Gerhard Seybert

Was Arbeitnehmer in ihrer Freizeit machen, geht den Arbeitgeber im Prinzip nichts an. Eine sogenannte außerdienstliche Straftat rechtfertigt grundsätzlich keine Kündigung. Vielmehr müsste der Arbeitnehmer eine Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis verletzt haben. 

Diese rechtlichen Spielregeln zu verstehen ist das Eine, sie in der betrieblichen Praxis zu respektieren, ist etwas ganz Anderes. Denn das kann im Einzelfall zum Beispiel bedeuten, dass man mit einem „Kollegen“ zusammenarbeiten muss, der wegen Kindesmissbrauchs verurteilt wurde – so eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aus Dezember 2016.

Folgendes ist geschehen:

In einem vor dem BAG verhandelten Fall war ein seit 2007 beschäftigter Hafenarbeiter des Bremerhavener Containerterminals wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Der Arbeitnehmer hatte aber nicht nur mit Polizei und Strafjustiz Ärger, sondern auch mit dem Arbeitgeber. Dieser sprach nämlich wegen dieser Verfehlungen im September 2011 und im April 2012 Kündigungen aus, die vor Gericht jeweils ohne Erfolg waren. Der Arbeitgeber musste den Arbeitnehmer weiter beschäftigen. 

Als der Hafenarbeiter im Sommer 2013 an zwei Tagen wieder zur Arbeit erschien, legten einige Arbeitskollegen (von insgesamt 1.000 Arbeitnehmern) ihre Arbeit nieder und erklärten, erst dann wieder arbeiten zu wollen, wenn der Hafenarbeiter das Betriebsgelände verlassen hätte. Diese Forderung wurde unter anderem auch von dem Betriebsratsvorsitzenden mitgetragen. Die Erbringung der Arbeitsleistung zusammen mit einem verurteilten Sexualstraftäter sei unter keinem Gesichtspunkt hinnehmbar.

Der Arbeitgeber drohte den „Streikenden“ weder mit Abmahnungen noch mit Gehaltskürzungen oder gar Kündigungen. Stattdessen kündigte der Arbeitgeber den vorbestraften Hafenarbeiter im Juli 2013 ein weiteres Mal und zwar diesmal sogar außerordentlich fristlos hilfsweise fristgerecht. 

So entschied das Gericht:

Das BAG entschied den Fall zugunsten des Hafenarbeiters, das heißt, es stellte fest, dass die hier ausgesprochenen Kündigungen insgesamt unwirksam waren. 

Nach den Ausführungen der Erfurter Richter hätte der Arbeitgeber die „streikenden“ Arbeitnehmer nicht nur zur Arbeitsaufnahme auffordern müssen, sondern er hätte diese auch deutlich auf die Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens hinweisen müssen, notfalls auch unter Androhung von Abmahnungen und Gehaltskürzungen.

Nach Auffassung des BAG lagen die Voraussetzungen einer sogenannten Druckkündigung nicht vor, weil der Arbeitgeber die von ihm behaupteten wirtschaftlichen Nachteile bzw. Schäden nicht ansatzweise dargelegt habe. Der Arbeitgeber hätte sich vielmehr schützend vor den Betroffenen stellen und alles Zumutbare versuchen müssen, um die Streikenden wieder zur Arbeit zu bringen.

Vor allem aber wiesen die Erfurter Richter auf die Vorgeschichte der streitigen Kündigung hin, immerhin hatte der Arbeitgeber bereits zwei Mal ohne Erfolg eine Kündigung ausgesprochen und war nunmehr gerichtlich zur Weiterbeschäftigung verpflichtet worden. Unter solchen Umständen stand er in der besonderen Verantwortung, der Weiterbeschäftigung des Hafenmitarbeiters Geltung zu verschaffen – so die höchste deutschen Arbeitsrichter.

Fazit:

Das Verhalten der Arbeitnehmer und des Betriebsratsvorsitzenden ging in diesem Fall schon bedenklich in Richtung Selbstjustiz und in einem solchen Fall ist jeder Arbeitgeber gut beraten, deutlich klare Kante zu zeigen. 

Die Zusammenarbeit mit einem verurteilten Missbrauchstäter mag sehr belastend und im Einzelfall geradezu unerträglich sein – dies sieht der Verfasser als Familienvater ganz genauso. Dieser Fall zeigt aber deutlich, dass nicht jeder belastende oder als unerträglich empfundene Umstand auch justiziabel ist. Der Rechtsstaat kann auch eine Zumutung sein.

Stefan Wenzel
Fachanwalt für Arbeitsrecht